Wein hat es leichter – oder doch nicht?

Wein hat es leichter – oder doch nicht?

Wie sich die mediale Förderung von Wein, Bier und Hochprozentigem unterscheidet – und warum das so ist.

Lesermeinungen (Auszüge):

Neben vielen positiven Rückmeldungen zu meinem Dossier „Wein und Gesundheit“, auch veröffentlicht im Weinfeder-Journal Edition 76, wie etwa:

„Das sehr aktuelle Dossier Wein und Gesundheit beeindruckt mich besonders; die derzeit laufende Kampagne gegen ‚Alkohol‘ lässt ja keine zwei Varianten zu!“

… oder:

„Na, endlich traut sich einer Tacheles zu reden. Kompliment! Trotz fehlender Werbung auf Ihren Portalen, oder vielleicht gerade deswegen, sind Sie offensichtlich der einzige Redakteur der Weinszene, der das Bashing gegen Wein differenziert auseinander klamüsert und der WHO den Mittelfinger zeigt. Danke dafür!“

… waren diese beiden weiteren Kommentare für mich besonders prägend. Weil ich beide Verfasser kenne und sehr schätze und weil sie es auf den Punkt bringen:

„Lieber Arthur, soeben habe ich bei einem Silvaner ‚Seebuck‘ vom Ebracher Hof die neue Weinfeder gelesen, ja teilweise genossen. Deine Beiträge zum Thema Wein und Gesundheit haben mir besonders gefallen. Es war höchste Zeit, dass der neuen Prohibitionswut ein wenig der Wind aus den Segeln genommen wird. Wenn Leute wie Du etwas Wasser in den Wein der ‚edlen‘ Denkweise gießen, kann das nur hilfreich sein.“

Lieber Arthur, nachdem ich deine gut überlegten, offenen Texte gelesen habe – Kompliment. Bleib bei dieser positiv-offensiven Darstellung zu diesem sensiblen Thema! Ich hebe mein Glas mit einem Weinviertler Winzersekt in deine Richtung! Bitte weitermachen in dieser Richtung – wir brauchen viele solche Stimmen. Nicht zuletzt, um diese Diskussionen in die richtige Position zu rücken!

Diese und anderen Rückmeldungen gleichen Tenors haben mich berührt. Auch, weil sie zeigen: Unsere Leser merken genau, wie unterschiedlich heute über Alkohol gesprochen wird. Und sie spüren, dass Wein oft eine Sonderrolle einnimmt.

Aber ist das nur ein Eindruck … oder lässt sich das auch belegen?

Ich habe genauer hingesehen: Wie wird Wein in den Medien dargestellt und wie unterscheidet sich das von Bier, Spirituosen oder alkoholfreien Alternativen? Im direkten Vergleich wird vieles klarer. Hier mein Überblick, mit einem Glas Wein in der Hand. Rein „wissenschaftlich“, versteht sich.

Wein, der kultivierte Außenseiter

Weinwerbung ist leiser als die anderer Alkoholsparten, aber nicht harmloser. Während Bier und Spirituosen auf laute TV-Spots, Sportevents und Partystimmung setzen, zeigt sich Wein als Symbol für Kultur, Genuss und Lebensart.

In Lifestyle-Magazinen und EU-Kampagnen dominieren Begriffe wie Terroir, Tradition, Esskultur und Mäßigung. Und ja, In keiner anderen Alkohol-Kategorie wird so oft über „Gesundheit“ gesprochen wie beim Wein.

Das hat System. Unter dem Motto „Wine in Moderation“ präsentiert sich die Branche europaweit als Teil eines verantwortungsvollen Lebensstils. Das klingt gut. Und ist auch gut. Und das muss sein. Ist längst überfällig. Ist aber auch strategisch. Hier zwei bemerkenswerte Statements:

„Wein ist nicht bloß ein alkoholisches Getränk. Er ist ein Kulturgut mit sozialer, sensorischer und symbolischer Bedeutung. Die mediale Sonderrolle ist erklärbar: Es ist ein Unterschied, ob man Alkohol isoliert oder eingebettet in Genuss, Essen und Ritual konsumiert.“

– Prof. Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler

„Es ist wissenschaftlich fragwürdig, aus Bevölkerungsanalysen direkte medizinische Empfehlungen zum Alkoholkonsum abzuleiten. Der Zusammenhang zwischen moderatem Weinkonsum und Herzgesundheit ist komplex und nicht monokausal.“
– Prof. Dr. Heribert Schunkert, Deutsches Herzzentrum München, international anerkannter Kardiologe

Dies nur als kurzer Exkurs, weil ich zur Zeit tief ins Thema „Wein und Gesundheit“ eingetaucht bin. Also, zurück zu den Fakten der Budgets: Der durchschnittliche Werbeetat der Weinbranche in Deutschland lag in den letzten Jahren bei etwa 46 Millionen Euro pro Jahr. Ein kleiner Betrag, der mit über einer Milliarde Euro jährlich an EU-Fördermitteln für Weinmarketing, Exportförderung und Restrukturierung massiv ergänzt wird.

Bier, der Kumpel mit Dauerkarte

Bier hat andere Ziele, und schon traditionell ein anderes Publikum. Hier zählen Emotion, Kumpelgefühl und Stadion-Atmosphäre. Das sieht man nicht nur beim Super Bowl, sondern auch hierzulande bei Bundesliga und Grillspots.

Die deutsche Bierbranche investiert jährlich fast 300 Millionen Euro in klassische Werbung – das ist mehr als sechsmal so viel wie die Weinwirtschaft in Deutschland. Dies bezieht sich über alle Kanäle hinweg: also TV, Radio, Print, Außenwerbung, Kino und Online-Display, Social-Media inkl. Influencer-Kampagnen, wie Werbestatistiken deutscher Marktforschungsinstitute (u.a. Nielsen) dokumentieren.

Der Slogan der Bierbranche ist klar: Bier gehört zum Leben. Zum Fußball. Zur Freundschaft. Zum Feierabend. Risiko? Wird ausgeblendet. Das Glas gehört zur Szene wie das Mikro zum Sänger.

Spirituosen, der Glamour in der Nacht

Whisky, Gin, Tequila & Co. setzen auf Lifestyle, Craft und Exklusivität. Ihre Zielgruppe: jung, digital, stilbewusst – und bereit, für Designflaschen 60 Euro zu zahlen.

165 Millionen Euro investiert die Branche nach jüngster Erhebung in Werbung. Die Bildsprache: Bars, Mixologen, limitierte Editionen, und Menschen, die wissen, wie man „richtig lebt“. Gesundheitsargumente? Fehlanzeige. Dafür: jede Menge Likes.

Sekt & Schaumwein, die prickelnde Balance

Die „leisen Luxusse“ im Glas haben ihre eigene Positionierung. Sekt- und Schaumweinwerbung spielt gern mit Eleganz, Anlässen und Lebensfreude. Zwar ist das Volumen geringer als bei Bier oder Spirits, dennoch wurden in Deutschland zuletzt im Schnitt 23 Millionen Euro jährlich bezüglich gleicher Kanäle wie bei Wein, Bier und Spirituosen in Werbung investiert. Hinzu kommen saisonale Spitzen zu Feiertagen oder Events, was in Summe die 30 Millionen-Marke übersteigen dürfte.

Auch hier gilt: Gesundheit wird kaum thematisiert. Stattdessen liegt der Fokus auf Feiern, Romantik und prickelndem Lebensgefühl – vom Hochzeitsglas bis zur Operngala.

Alkoholfrei, die neue Bühne

Während Alkohol kontrovers diskutiert wird, wächst im Schatten ein neuer Markt: alkoholfreie Varianten. Lange belächelt, heute im Mainstream angekommen, vor allem alkoholfreies Bier.

Mit einem Werbebudget von 18,4 Millionen Euro* allein für alkoholfreies Bier ist dieses Segment auf dem Vormarsch. Marken wie Jever Fun oder Erdinger Alkoholfrei sind stark vertreten. Etwas größer ist das Budget für alkoholfreie Destillate mit 20,7 Millionen Euro*, die ihren Marktanteil im Jahr 2023 gegenüber 2022 um 55,4 Prozent steigern konnten. Alkoholfreier Sekt hat in der Runde einen Marktanteil von sechs Prozent, der Absatz lag 2021 bei 23 Millionen Flaschen, stetig steigend. Beim alkoholfreien Wein läuft es hingegen schleppender: Der Marktanteil liegt unter einem Prozent*.

Warum wird alkoholfreier Wein nicht akzeptiert? Sein Geschmack überzeugt noch nicht, er wird oft mit Saft verglichen. Terroir, Sortentypizität, Winzerhandschrift, Ausbauraffinessen – all das fehlt. Doch die Bühne wird größer. Der Applaus für das alkoholfreie Segment wird hörbarer, sowohl strategisch als auch gesellschaftlich.

* Alle genannten und heute zu vergleichenden Zahlen des gesamten Segments stammen aus dem Jahr 2022. Aktuellere und verlässlichere Jahreszahlen zu den Werbeausgaben für alkoholfreien Wein in Deutschland sind öffentlich nicht verfügbar. Das mag daran liegen, dass Daten für alkoholfreien Wein kaum separat erfasst werden, was auf ein bislang geringes Werbevolumen oder fehlende Marktdaten hindeutet.

Was bedeutet das für uns Weinfreunde?

Es heißt vor allem: Wir müssen differenziert denken. Und das versuchen wir auch. Wein ist Teil unserer Kultur. Das wissen wir. Aber er ist auch ein alkoholisches Getränk und damit kein Gesundheitsprodukt per se. Dass er in vielen Medien dennoch so erscheint, liegt an einer clever orchestrierten Kommunikation, nicht an seinen Inhaltsstoffen, oder etwa doch, teilweise? Mehr dazu lesen Sie in meinem Beitrag: „Jeder Tropfen zählt – aber anders, als Sie denken!

Die andere Seite ist aber auch klar: Wer pauschal sagt, „jeder Tropfen ist tödlich“, oder, wie ich es zugespitzt aus dem WHO-Kontext formuliert habe, „kein Tropfen ist sicher“, macht es sich zu einfach. Eine differenzierte Betrachtung mit echten wissenschaftlichen Grundlagen ist nötig. Und die leisten wir mit VINWORLD.

Hier zum Nachlesen eine Linkliste zu den Beiträgen des Dossiers „Wein & Gesundheit“:

Fazit: Jeder nach seiner Fasson

Wein hat es leichter in der medialen Darstellung, aber auch nur, weil er sich raffinierter in Szene setzt. Bier punktet mit Masse und Emotion. Spirituosen mit Style. Sekt mit Momenten. Und die „Null-Varianten“ mit Zeitgeist.

Aber keine andere Kategorie erzählt ihre Geschichte so klug und so eng verbunden mit Kultur, Herkunft und Maß wie der Wein. Das ist eine Stärke. Aber auch eine Verantwortung. Und genau hier liegt unsere Aufgabe als differenzierendes Weinmedium ebenso wie die der Weinbranche: die Balance zu halten zwischen Berichterstattung, Kritik, Qualitätsstreben, Werbeversprechen, Verzichtsideologie und Lebensfreude. Wie bei einem guten Wein.

Geschafft! Jetzt, nach Verfassen dieses Artikels, öffne ich mir eine Flasche deutschen Sekts. Zum Wohl! Lassen wir das Thema prickeln …

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Alle Angaben, außer der EU-Förderung für Wein, beziehen sich auf deutsche Budgets: Alle genannten Beträge sind Bruttowerte.


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Fotocredit: Generiert mit KI

Veröffentlicht von

Seit 2000 bin ich mit dem Weinthema und der Weinszene verbunden. Ich agiere als Verleger, publiziere redaktionelle Beiträge und produziere Print- und digitale Weinmedien.