Wenn Gesundheitspolitik zur Glaubensfrage wird – Eine Analyse was hinter alarmistischen Aussagen über Alkohol steckt – und warum Wein in Social Media zunehmend zum politischen Spielball wird.
Die WHO definiert: „Kein Tropfen ist sicher.“ (redaktionelles Abstrakt) – Reflexion aus den Medien: „Alkohol ist das neue Rauchen.“ – Reflexion aus der Weinindustrie und Gesundheitsbranche: „Alkoholfreier Wein ist die Zukunft.“ Bei diesen Narrativen beschleicht einen das Gefühl, dass hier kolportiert wird.
Solche Schlagzeilen lesen sich wie Tatsachen, wirken auf das Gros der Menschen wie wissenschaftlich fundierte Imperative – und doch sind sie oft Ausdruck einer politischen Erzählung, die mit Fakten nur bedingt mithalten kann. Besonders der Wein, einst kulturelles Erbe und Symbol moderaten Genusses, wird in jüngster Zeit immer öfter Ziel pauschaler Abstinenzforderungen. Wie konnte das passieren? Und warum tobt gerade in sozialen Medien eine so erbitterte Debatte?
Alkoholpolitik als Teil einer neuen Gesundheitsethik
Seit einigen Jahren ist ein klarer Trend erkennbar: Gesundheit wird zunehmend zur moralischen Leitwährung westlicher Gesellschaften. Was einst persönliche Entscheidung war, wird zunehmend zur öffentlichen Angelegenheit. Ernährung, Bewegung, sogar Schlaf – alles wird normiert, bewertet, optimiert. Alkohol – insbesondere Wein – gerät dabei unter besonderen Druck.
Die WHO, zahlreiche nationale Gesundheitsministerien (u.a. Kanada, Irland) und Organisationen wie die OECD setzen auf Zero-Risk-Kommunikation. Das bedeutet: Je einfacher die Botschaft, desto besser. Differenzierung gilt dabei oft als riskant – weil sie angeblich zu Missverständnissen führt. Was bleibt, ist ein schwarz-weißes Narrativ:
„Null ist sicher. Alles darüber ist gefährlich.“
Diese Strategie mag in der Tabakprävention funktioniert haben – bei Alkohol (und besonders bei Wein) ist sie jedoch wissenschaftlich angreifbar und kulturell fragwürdig.
Ein Beispiel aus Irland. Das Land beschloss 2023, auf Weinflaschen künftig Warnhinweise wie „Alkohol verursacht Lebererkrankungen“ oder „Es gibt keinen sicheren Alkoholkonsum“ zu drucken – selbst auf Weinetiketten aus Frankreich oder Italien. Der Aufschrei war groß: Nicht nur aus der Weinwirtschaft, sondern auch aus Teilen der Wissenschaft. Solche Maßnahmen basieren weniger auf konsensfähiger Datenlage als auf einem präventivpolitischen Dogma, das Gesundheit über alles andere stellt – auch über Genuss, Kultur, Eigenverantwortung.
Social Media: Zwischen Wissenschaftssimulation und Meinungsschlacht
Die sozialen Netzwerke sind Brennglas und Brandbeschleuniger zugleich. Besonders auf Plattformen wie Twitter/X, TikTok und Instagram wie auch bei dem etwas „ergrauten“ Facebook eskalieren Debatten um Wein und Gesundheit regelmäßig. Einige Muster:
- Empörungslogik: Studienausschnitte ohne Kontext gehen viral.
- Moralisches Framing: Wer für Wein plädiert, gilt schnell als „verantwortungslos“.
- Sciencewashing: Einzelstudien oder WHO-Statements werden als unumstößliche Wahrheiten zitiert – oft von Nicht-Medizinern.
- Entdifferenzierung: Zwischen Bier, Schnaps und Wein wird selten unterschieden – Alkohol bleibt Alkohol.
Gleichzeitig wächst aber auch der Widerstand. Fachleute aus der Ernährungswissenschaft, Kardiologie, Onkologie und Psychologie wehren sich öffentlich gegen die Simplifizierung. Auch viele Mediziner mit öffentlichem Profil (z. B. auf LinkedIn oder in Podcasts, aber auch Zitate in Printmedien) fordern mehr Augenmaß.
„Es gibt keine Gesundheit ohne Lebensfreude – und zur Lebensfreude gehört für viele Menschen ein Glas Wein. Das zu verteufeln, ist weder medizinisch klug noch kulturell gerechtfertigt.“ – *Prof. Dr. Sven Gottschling, Palliativmediziner und Autor.
„Viele Studien belegen, dass Menschen, die Wein in geringen Mengen konsumieren, weniger Herzprobleme bekommen. Das heißt aber nicht unbedingt, dass dies auch der tatsächliche Grund für die Schutzwirkung ist.“ – *Prof. Dr. Heribert Schunkert, Deutsches Herzzentrum München
„Die Behauptung, Rotwein sei gesund, ist eine Mär. Die Studien dazu begründen sich bloß auf Bevölkerungsanalysen, die aus wissenschaftlicher Sicht wenig aussagekräftig sind.“ – *Dr. Knut Kröger, Helios Klinikum Krefeld.
„Wein ist ein Kulturgut. Maßvoll genossen, ist er kein Feind der Gesundheit, sondern Teil eines ausgewogenen Lebens.“ – *Prof. Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler
„Null-Risiko-Kommunikation ignoriert die Realität: Kein Genussmittel ist völlig risikofrei – aber viele bereichern unser Leben. Maß ist die Medizin.“ – *Dr. med. Günter Kampf, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin
„Wer Alkoholpolitik mit Angst betreibt, schadet der Glaubwürdigkeit von Aufklärung.“ – *Prof. Dr. Helmut Schatz, Deutsches Zentrum für Diabetesforschung
„Die French-Paradox-Debatte hat gezeigt: Es kommt nicht nur auf das ‚Was‘, sondern auch auf das ‚Wie‘ an. Wein im Kontext von Lebensstil zählt.“ – *Prof. Dr. Giovanni de Gaetano, Kardiologe, Italien
Die Macht der Narrative: Zwischen Prävention und Politik
Warum also dieser alarmistische Kurs? Vier politische Treiber spielen eine zentrale Rolle:
- Alkoholbedingte Krankheiten sind teuer für das Gesundheitssystem.
- Eine Null-Toleranz-Kommunikation scheint ein einfacher Weg zur Kostensenkung.
- Internationale Harmonisierung: WHO-Vorgaben sollen national übernommen werden – auch aus politischem Kalkül.
- Öffentliche Gesundheitskampagnen: Je klarer die Message, desto besser steuerbar scheint das Verhalten der Bevölkerung.
Doch diese Mechanismen ignorieren die Realität vieler moderater Konsumenten – und stellen Kulturgüter wie Wein unter Generalverdacht. Das ist weder verhältnismäßig noch wissenschaftlich fundiert.
Was tun? Differenzierte Kommunikation als Schlüssel
Die Weinwelt steht vor einer kommunikativen Herausforderung: Wer sachlich argumentiert, gilt schnell als Lobbyist. Wer schweigt, überlässt das Feld den Populisten. Dabei gibt es durchaus Wege, der Debatte mit Fakten, Fairness und Feinsinn zu begegnen: Transparente Aufklärung statt Werbung, Einbindung seriöser Fachleute aus Medizin und Wissenschaft sowie Förderung einer bewussten Genusskultur statt Verteufelung. Initiativen wie „Wein & Gesundheit“ oder Veranstaltungen mit Ärzten und Winzern im Dialog könnten hier zukunftsweisend sein.
Mein Aufruf
Liebe Leser, meine Artikel „Wein und Gesundheit: Zwischen Panikmache, Fakten und Genusskultur“, „Wein, Wahrheit und Weltanschauung: Wenn Gesundheitspolitik zur Glaubensfrage wird“ sowie „Null Promille, volles Leben?“ sollen alle die, die genießen, produzieren, handeln und leeren, also Weinliebhaber, Weinproduzenten, Weinhändler, Weinuniversitäten und Weindozenten dabei unterstützen, die Diskussion rund um Weinkonsum und Gesundheit fundiert und differenziert zu führen.
Festzuhalten bleibt, dass die Debatte um Alkohol und insbesondere Wein längst mehr als eine medizinische Frage ist – sie ist ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Vorstellungen von Gesundheit, Verantwortung und Freiheit. Wer sie pauschal beantwortet, verkennt die Komplexität. Es braucht nicht mehr Moral, sondern mehr Aufklärung. Und den Mut, zwischen Missbrauch und Maß zu unterscheiden.
Lesen Sie auch zum Thema meinen Vorbericht unter dem Titel:
• „Zwischen Panikmache, Fakten und Genusskultur“Sowie auch meinen Artikel:
• Null Promille, volles Leben?
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* Quellenangaben zur Trilogie „Wein und Gesundheit“– – –
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