Europas gefährliche Kurzsichtigkeit
Staatspräsident Emmanuel Macron nach China-Besuch im Dezember 2025: „Wir brauchen starke Maßnahmen […] wie Zölle.“ Dieses Ansinnen zwischen Zollrhetorik und geopolitischer Kurzsichtigkeit betrifft letztlich auch Europas Wein – Anlass für meinen Kommentar: „Zwischen Brüssel, Paris, Peking und Washington – warum die Flasche Wein zum falschen Pfand geworden ist.“
Es gibt eine stille Hierarchie in der Politik: „strategisch“ ist, was nach Chipfabrik klingt; „kulturell“ ist, was nach Kellerduft riecht. In dieser Hierarchie hat der Wein ein Problem. Dabei ist er nicht nur Kultur, sondern Außenhandel, Landwirtschaft, Landschaftspflege, Tourismus, Identität. Und vor allem: ein Exportgut, das von einer Währung lebt, die in keiner Statistik steht: VERTRAUEN.
Eurostat zeigt, wie groß die wirtschaftliche Substanz ist: 2024 exportierte die EU alkoholische Getränke im Wert von 29,8 Mrd. € in Nicht-EU-Länder, Wein davon 16,8 Mrd. €. Wer also über „Wein“ spricht, spricht nicht über ein romantisches Nebenfach, sondern über einen tragenden Exportpfeiler. Gerade deshalb ist es so unerquicklich, wie leichtfertig Wein und Spirituosen in den letzten Jahren in handelspolitische Scharmützel geraten: als Symbol, als Botschaft, als Druckmittel – kurz: als Pfand.
Wie Eskalation heute funktioniert: nicht logisch, sondern wirksam
Handelskonflikte beginnen selten im Wein. Sie beginnen in Industrien, in denen es um Dominanz geht: Technologie, Subventionen, Marktanteile. Der aktuelle Streit EU–China ist dafür exemplarisch. Die EU hat (nach ihrer Anti-Subventions-Untersuchung) Zölle auf in China produzierte batterieelektrische Fahrzeuge verhängt – und beide Seiten verhandeln seither über Alternativen wie Mindestpreise.
Man kann das als legitime Verteidigung gegen Wettbewerbsverzerrung lesen, wenn man will …
Doch die Antwortlogik der Gegenseite ist nicht zwingend „symmetrisch“. Sie ist politisch: Man sucht sich Branchen, die sichtbar sind, schmerzen, und innenpolitische Resonanz erzeugen. Genau hier liegt die Verwundbarkeit der Wein- und Spirituosenwelt. Sie ist prominent, sie hat Gesichter, Familien, Regionen, Geschichten – und sie lässt sich im Nachrichtenbild schneller darstellen als ein Subventionsmechanismus.
Cognac als Menetekel
Das chinesische Handelsministerium MOFCOM eröffnete am 5. Januar 2024 ein Anti-Dumping-Verfahren gegen EU-Brandy. Im Juli 2025 wurden Zölle bis 34,9 % beschlossen, kombiniert mit Mindestpreis-Zusagen, die vor allem großen Akteuren Luft verschaffen.
Für die Branche bleibt eine bittere Erkenntnis: Der Schaden entsteht nicht erst durch den Zollsatz. Er entsteht durch die Unsicherheit: Programme werden verschoben, Budgets eingefroren, Händler zögern, Marketing verliert Rhythmus. Der Wein lebt von Kontinuität – und Kontinuität ist in Eskalationsphasen das erste Opfer.
Der Satz aus Paris – und die europäische Nebenwirkung
In diese sensible Lage fällt eine kommunikative Zuspitzung, die die Nervosität der Exporteure verständlich macht. Reuters berichtete am 7. Dezember 2025, Macron habe gesagt, Europa könne „in den kommenden Monaten“ gezwungen sein, „starke Maßnahmen … wie Zölle“ zu ergreifen.
Ob Macron damit innenpolitisch, europapolitisch oder strategisch punkten will oder mag, ist für den Weinexport fast zweitrangig. Entscheidend ist: Solche Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Peking erneut nach dem Muster reagiert, das es bereits demonstriert hat – selektiv, symbolisch, wirksam.
Hier entsteht ein europäisches Strukturproblem, das über Macron hinausweist: In der Praxis kommunizieren oft nationale Hauptstädte „europäisch“. Drittstaaten hören dann nicht „Brüssel“, sondern „Paris“ – und reagieren trotzdem „europäisch“, also mit Maßnahmen, die europäische Sektoren treffen. Der Wein wird dabei zur Projektionsfläche einer Einigkeit, die politisch nicht immer existiert, aber ökonomisch schon bezahlt werden muss.
Washington: der größere Markt – die größere Fallhöhe
Wer in Europa vor allem auf China starrt, übersieht die andere Kante der Rebzange. Reuters meldete am 13. März 2025, Donald Trump drohe mit 200 % Zöllen auf EU-Wein und -Spirituosen.
Und die USA sind nicht irgendein Kunde, sondern das wichtigste Zielland für EU-Alkoholexporte – Wert 2024: 8,9 Mrd. €. In diesem Licht wird jede zusätzliche China-Eskalation doppelt riskant: Sie verschlechtert nicht nur den Zugang zu einem großen Markt, sie schwächt Europas Verhandlungsposition in einem anderen.
Was Europa lernen muss – wenn es den Wein ernst nimmt
Das eigentliche Versäumnis ist nicht, dass Europa Handelspolitik betreibt. Das Versäumnis ist, dass Europa sie betreibt, ohne den Preis im Weinberg mitzuberechnen. Europa kann Handelsschutz betreiben. Aber Europa muss aufhören, Wein und Spirituosen als bequeme Verhandlungsmasse zu dulden, weder rhetorisch noch praktisch.
Ein Minimum an Professionalität, gepaart mit Realismus, wäre: rhetorische Disziplin und Schutz vor Kollateralschäden. Wein und Spirituosen dürfen nicht Standardmunition in sachfremden Konflikten sein – weder in Brüssel noch in erwartbaren Gegenreaktionen. Macron hat keinen Freischein, Europas Weinmarkt aufs Spiel zu setzen. Wer „Europa“ sagt, muss europäische Deckung organisieren, muss Planbarkeit stabilisieren – auch zugunsten der Weinbranche, denn sonst werden Exporteure zu Statisten einer politischen Erzählung.
Wein ist geduldig. Märkte sind es nicht. Wer europäische Exportkultur schützt, schützt nicht Nostalgie – er schützt einen ökonomischen Kern und ein Stück europäische Glaubwürdigkeit. Zölle kann man anordnen. Vertrauen muss man erarbeiten. Und genau dieses Vertrauen ist der wichtigste Jahrgang im Export. Und vielleicht ist das die unbequeme Pointe: Europa redet gern von Soft Power. Beim Wein besitzt es sie. Es sollte endlich aufhören, sie zu verspielen.
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Quellen: Reuters, European Commission, english.mofcom.gov.cn
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