Die Weinshow gehört dem Gast
ITALIEN (Bozen): Es sind diese typischen Geschichten, die das Leben schreibt. Man begegnet Menschen, erlebt sie – und doch weiß man oft kaum etwas über sie. Man macht sich das Leben bequem, schiebt Vorurteile vor, interessiert sich nicht für jeden. Doch dann gibt es diese Charaktere, die inspirieren, die einen erreichen. Von so einer Begegnung, einer Lebensgeschichte voller Zufälle, Wissensdurst, Ehrgeiz, Zähigkeit, Ausdauer und Talent, möchte ich erzählen.
Folgen Sie mir also ins Jahr 1986 – wir befinden uns im Norden Südtirols. Ein 16-Jähriger ist mit seiner Freundin unterwegs zum „Disco Apres Club“ in Gargazon nahe Meran. Doch bevor sie sich ins Nachtleben stürzen, will er Eindruck schinden: Ein Restaurantbesuch, eine Flasche Wein. Bestellt wird ein Sassicaia. „Was ich dann am Gaumen spürte, war so trocken, dass ich am liebsten zwei Gläser Bier hinterhergekippt hätte, um überhaupt wieder Feuchtigkeit im Mund zu haben. Und ich dachte mir: Das kann doch nicht sein“, erzählt Claudio Ramoser. Was als männliches Imponiergehabe begann, wurde zur Initialzündung für eine lebenslange Leidenschaft – und, aus heutiger Sicht, der Startschuss für eine beeindruckende Karriere.
Vom Tellerwäscher zum Sommelier
Claudio begann, alles über Wein zu erfahren. Er las, probierte, besuchte Weinkurse und stieg in die Gastronomie ein – vom Tellerwäscher zum Sommelier, sozusagen! Sein erster Aushilfsjob: Abspüler im Sterzinger Parkhotel Stötter. In der darauffolgenden Wintersaison wechselte er in den Service des Alpino Hotel Gran Foda (Kronplatz/Dolomiten) in S. Vigilio. „Ein sehr lehrreiches Jahr“, erinnert sich Claudio. Dann folgten Stationen im Zickzack zwischen Sommer- und Wintersaisonen: Restaurant Tre Cani in Malcesine am Gardasee, Gran Hotel City in Liverpool, Mercure Piccadilly in Manchester, Hilton Korfu, Hilton Park München, Hotel Seiser Alm Plaza Alpe di Siusi. Dort blieb er zwei Jahre, bevor es ihn nach Schenna ins Hotel Schlosswirt zog. Fünf Jahre blieb er dort. In den Wintermonaten arbeitete er im Kimpton Hotel Eventi in New York oder im Gran Beach Hotel in Miami Beach.
Von der Welt in die Heimat – und zurück
„Die Reisejahre waren lehrreich, aber auch anstrengend“, resümiert Claudio. Und doch wollte er nicht in Südtirol bleiben – er spürte wieder Fernweh. Doch wie das Leben spielt: Es war 1998, Claudio war verliebt. Und so blieb er. Statt in die Ferne zu ziehen, wechselte er ins renommierte Hotel Hohenwart der Familie Mair in Schenna. Hier wurde er Chefsommelier, baute die Weinkarte auf über 1.000 Etiketten aus und führte unkonventionelle, charmant inszenierte Weinseminare für Hausgäste und Weinliebhaber ein. Seminare, die Kultstatus erlangten – nicht nur wegen der Weine, sondern vor allem wegen Claudios sympathischer, humorvoller Art.
Hier traf ich Claudio erstmals im Jahr 2012. Nun bin ich nicht gerade ein Laie in Sachen Wein, doch sofort war mir klar: Dieser Mann ist ehrlich, humorvoll, souverän und hat ein enormes Wissen. Es war mir eine Freude, mit ihm Weine zum Dinner abzustimmen. Und manchmal fragte er grinsend: „Arthur, soll ich dich überraschen?“
Zeit für Prioritäten und ein Gespräch
Doch irgendwann ändern sich Prioritäten. 2018 entschied sich Claudio, den Job im Hohenwart aufzugeben. Nach 21 Jahren wurde es Zeit für mehr Familie. Ich erfuhr davon bei einem Kurzurlaub in Schenna und traf mich mit ihm auf ein Gespräch.
Alles gut, Claudio? (Er sieht blendend aus, hat ein paar Pfunde verloren.)
(Breites Grinsen…) Ja, bestens.
Was machst du jetzt?
Ich habe mich beruflich neu aufgestellt. Ich vertrete die Weindiele, also den Weinhandel Winestore* in Bozen, für das Meraner Land und den Norden Südtirols. Ich betreue bestehende Kunden und gewinne neue dazu. Ein Job, der mir Spaß macht – und mir mehr Zeit für die Familie gibt.
Claudio, lass uns über deinen früheren Job als Sommelier sprechen. Was sind, neben Weinwissen, die wichtigsten Eigenschaften in diesem Beruf?
Eigenschaften? Na, immer einen Korkenzieher dabei haben! (lacht) Nein, im Ernst: Ehrlichkeit gegenüber den Gästen, Zuhören können, den eigenen Standpunkt vertreten – ohne zu missionieren. Inspiration? Die kommt von den Gästen, von Weinreisen, Events wie VinItaly oder ProWein. Ich habe fast alle Winzer Südtirols besucht, war Juror beim Gambero Rosso. So bleibt man am Puls der Zeit.
Welche Probleme begegnen dir in der Beratung?
Zu teuer, zu warm, zu viel Holz, zu viel Barrique. Ach, und man sollte Gästen Barrique richtig erklären!
Gibt es Anekdoten aus dem Service, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?
Natürlich! Einmal wurde ein Cabernet Sauvignon reklamiert – weil er nicht mehr weiß sei. Und dann gibt es Gäste, die ernsthaft fragen, ob ein 300-Euro-Wein sechsmal besser schmeckt als einer für 50 Euro. Meine Antwort? „Probieren Sie und sagen Sie es mir.“ Dazu kommen weitere skurrile Gästeanfragen. Willst Du die hören?
Ja klar, was sind die skurrilen Fragen, die du als Sommelier hörst?
Claudio grinst. Ja, da habe ich einige Zitate von Gästen. Es geht lost mit „Ich möchte einen Riesling ohne Säure“, über „Bitte keinen Wein aus Griechenland, der bekommt mir nicht“, über „Empfehlen Sie uns einen Riesling ohne Säure“, und weiter mit „Der Rosé hat kaum Farbe, ist der noch genießbar“, über „Sie können mir alles empfehlen aber keinen St. Laurent. Ich mag keine Franzosen, außerdem sind die zu teuer!“ bis hin zu „Wählen Sie mir bitte einen Naturwein aus, aber bitte ohne Kellergetier drin!“
Kuriose Ansprachen. Wie gehst Du damit um?
Kurios, okay, aber sowas ist durchaus realistisch. Jedenfalls habe ich das so erlebt. Man sollte sich in der Freizeit immer mal über solche Fragen und Vorkommnisse Gedanken machen, um nicht überrascht zu werden, sondern um souverän antworten und handeln zu können. Es gilt, den Gast zufrieden zu stellen, nicht mich. Man weiss auch nie, wer da vor einem sitzt. Es kann auch ein Tester sein, der einen auf die Probe stellt.
Du hast mir oftmals südtiroler Weine empfohlen, die ich so nicht entdeckt hätte. Wie siehst du die Entwicklung?
Top! Die Erwärmung hilft spätreifen Sorten wie Cabernet oder Merlot. Andere, wie Sauvignon oder Blauburgunder, weichen auf kühlere Lagen aus. Es gibt hier an jeder Ecke Kleinode. Naturweine sind ebenfalls im Kommen – eine spannende Entwicklung!
Und deine neue Aufgabe im Weinhandel?
Mein Fokus bleibt die Beratung. Kunden sollen verstehen, was sie trinken. Ehrlichkeit und Wissen vermitteln – genau wie früher. Nur eben in einem anderen Rahmen.
Claudio, danke für das Gespräch. Wir sehen uns in Tirol!
Jederzeit! Ciao Arthur!
*Winestore ist eine moderne Vinothek mit Degustationsmöglichkeit in Bozen (Kardaun) und gehört als Verkaufspunkt zur Marke Weindiele. Weitere Verkaufspunkte der Weindiele sind die Vinotheken in den Südtiroler Gemeinden Völs und Tiers. Der Winestore dient auch als Firmen- und Lagerzentrale der Weindiele.
Auf über 300 m² Verkaufsfläche finden Weinliebhaber knapp 3.000 Weinsorten aus Südtirol und Italien sowie bis zu 1.000 ausgewählte Destillate, hochprozentige Spirituosen und alles, was man für einen guten Cocktail benötigt.
Neben fachlicher Beratung – jeder im Verkaufsteam ist ausgebildeter Sommelier – stehen zahlreiche Weine zur individuellen Verkostung bereit. Moderne Dispenser halten stets 32 Stillweine und vier Schaumweine unter idealen Bedingungen zur Probe vor.
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Fotocredit: © Claudio Ramoser