Jeder Tropfen zählt – aber anders, als Sie denken!

Jeder Tropfen zählt – aber anders, als Sie denken!

Zahlen, Zitate, Zerrbilder – Wie wir über Wein und Gesundheit in die Irre geführt werden

Symposium der Deutschen Weinakademie in Geisenheim. Thema: „Wein und Gesundheit – neue Perspektiven auf Konsum, Risiko und Prävention“

Die Deutsche Weinakademie (DWA) lud im Rahmen des Symposiums zu einer differenzierten und evidenzbasierten Auseinandersetzung mit dem Thema moderater Weinkonsum in die Hochschule Geisenheim University ein. Vier renommierte Wissenschaftler beleuchteten aus kardiologischer, ernährungswissenschaftlicher, medizinischer und psychologischer Perspektive die aktuelle Datenlage, entkräfteten verbreitete Narrative und plädierten für Aufklärung anstelle pauschaler Verbote.

Wein und Herz – was ist belegt, was nicht?

Prof. Dr. Dirk von Lewinski, Kardiologe, Medizinische Universität Graz

Anhand seines Vortrags und seiner Forschungsschwerpunkte lässt sich sagen: Prof. Dr. Lewinski plädiert für eine differenzierte kardiologische Betrachtung alkoholischer Getränke. Seine Arbeiten im Bereich der myokardialen Energetik deuten darauf hin, dass er die Wirkung von Ethanol und polyphenolhaltigem Wein auf das Herz differenziert untersucht. Er kann anhand klinischer Daten nachweisen, dass moderater Weingenuss, etwa im Rahmen der mediterranen Diät, positive Effekte auf das kardiovaskuläre System haben kann, sofern Lebensstilfaktoren und Dosierung berücksichtigt werden. Seine Studien tragen zur Einordnung zwischen erfahrungsbasierter Medizin und evidenzbasierten Leitlinien bei.

Daten ohne Kontext? Kritik an DGE, WHO & Co.

Prof. Dr. Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler, DWA-Beirat

Prof. Worm stellte die neuen Empfehlungen der DGE und WHO in Frage, und das sowohl methodisch als auch inhaltlich. Er entlarvte zentrale Quellen wie kanadische Erhebungen und die Global Burden of Disease Study (GBD) als unscharf, ideologisch geprägt und methodisch problematisch. Besonders kritisierte er, dass differenzierte Risikobetrachtungen nach Trinkmustern, Alter oder Art alkoholischer Getränke fehlen.

Er präsentierte dagegen eine Vielzahl an internationalen Beobachtungsstudien, die die sogenannte J-Kurve* belegen: Leichter bis moderater Alkoholkonsum, insbesondere von Wein, kann bei älteren Menschen mit reduzierter Gesamt- und Herz-Kreislauf-Sterblichkeit einhergehen, ohne erhöhtes Krebsrisiko. Der Konsum zu Mahlzeiten, regelmäßig, aber in kleinen Mengen, ist dabei zentral.

Fake News vs. Wissenschaft: Wer spricht Wahrheit über Alkohol?

Prof. Dr. Kristian Rett, Internist, Endokrinologe, Vorsitz DWA-Beirat

Prof. Rett analysierte die Widersprüche in der Argumentation großer Gesundheitsinstitutionen wie der WHO. Im Fokus: Die widerrufene Position der Global Burden of Disease Study (2018) zum Thema Alkohol („no safe level“) und der Versuch, diese trotz revidierter Datenlage medial als „wissenschaftlichen Konsens“ aufrechtzuerhalten. Besonders kritisierte er den WHO-Leitfaden zur Berichterstattung über Alkohol als tendenziös und intransparent.

Er zeigte zudem aktuelle, seriöse Studienquellen, etwa der National Academies of Sciences (USA) und die neue PREDIMED-Substudie aus Spanien, die erstmals objektive Messgrößen wie Weinsäure im Urin als objektiver Parameter für die tatsächlich konsumierte Weinmenge nutzte. Ergebnis: Moderater Weinkonsum ist mit bis zu 50 % Risikosenkung für Herzinfarkt und Schlaganfall assoziiert, und das bei gleichzeitiger Minimierung von Verzerrungsfaktoren

Familie als Schutzfaktor: Prävention durch Aufklärung

Prof. Dr. Michael Klein, Psychologe und Suchtforscher, Katholische Hochschule NRW

Prof. Klein plädierte für eine präventionsorientierte Kultur des Weingenusses, insbesondere in der Jugend. Übermäßige Abschreckungspolitik könne Reaktanz erzeugen und problematisches Trinkverhalten fördern. Stattdessen brauche es frühe Anleitung zu maßvollem, sozial eingebettetem Konsumverhalten, insbesondere in der Familie.

Sein Credo: Frühzeitige Aufklärung, offene Gespräche, familiäre Vorbilder und Integration in soziale Strukturen (Mahlzeiten, Freizeit, Sport) wirken suchtpräventiv. Gerade in einer Zeit, in der Familienstrukturen gesellschaftlich unter Druck stehen, sei ihre Rolle als Resilienzfaktor nicht zu unterschätzen.

Mein persönliches Fazit

Das Symposium vermittelte mehr als bloße Fakten. Es zeigte, dass die Deutsche Weinakademie keine Lobbyorganisation, sondern ein wissenschaftliches Korrektiv gegenüber vereinfachenden Narrativen wie „jeder Tropfen ist schädlich“ ist. Besonders eindrucksvoll war das Verständnis für die J-Kurve* und die medizinischen Mechanismen hinter den protektiven Wirkungen polyphenolreicher Weine.

Zugleich wurde geschärft, wie wichtig es ist, Statistiken kritisch zu hinterfragen, deren Herkunft, Methodik und politische Absichten zu prüfen und fundierte Wissenschaft gegen Emotionalisierung und Ideologisierung zu verteidigen. Und nicht zuletzt: Die Familie ist und bleibt die zentrale Instanz für gesunde Entwicklung, und das auch im Umgang mit Alkohol.

Das Gebot der Aufklärung

Das DWA-Symposium war ein wichtiger Beitrag zur Wissenschaftskommunikation im Spannungsfeld von Gesundheitspolitik, Medien und individueller Lebenspraxis. Es plädierte für Maß und Mitte – im Denken, Bewerten und Konsumieren. Und es zeigte: Wissenschaftliche Differenzierung ist kein Rückschritt, sondern ein Gebot der Aufklärung.

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*J-Kurve (Begriffserklärung)

Der Begriff „J-Kurve“ beschreibt einen typischen Zusammenhang zwischen der Menge an konsumiertem Alkohol und dem Gesundheitsrisiko, insbesondere dem Sterberisiko. Wenn man diesen Zusammenhang in einem Diagramm aufzeichnet, ergibt sich eine Linie, die an den Buchstaben „J“ erinnert. Daher der Name.

Was zeigt diese Kurve?

• Menschen, die gar keinen Alkohol trinken, haben ein gewisses Basisrisiko für Krankheiten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.

• Menschen, die in kleinen bis moderaten Mengen Alkohol konsumieren, z. B. ein Glas Wein am Tag, zeigen laut vielen Studien ein geringeres Risiko für bestimmte Erkrankungen und sogar eine niedrigere Sterblichkeit als Abstinente.

• Menschen, die viel Alkohol trinken, haben ein deutlich höheres Risiko für zahlreiche Gesundheitsprobleme.

Das bedeutet: Wenig oder mäßiger Konsum kann je nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand gesundheitsförderlich sein, während zu viel Alkohol eindeutig schädlich ist. Wichtig dabei ist: Die J-Kurve ist kein Freifahrtschein zum Trinken. Sie zeigt aber, dass pauschale Aussagen wie „jeder Tropfen ist schädlich“ nicht der wissenschaftlichen Gesamtlage entsprechen. Entscheidend sind Menge, Häufigkeit, das persönliche Risiko und nicht zuletzt die Art des Getränks und die Lebensumstände.

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Seit 2000 bin ich mit dem Weinthema und der Weinszene verbunden. Ich agiere als Verleger, publiziere redaktionelle Beiträge und produziere Print- und digitale Weinmedien.