„Zwischen Panikmache, Fakten und Genusskultur“

„Zwischen Panikmache, Fakten und Genusskultur“

Wein und Gesundheit: Wie schädlich ist ein Glas Wein wirklich? Neue Studien, alte Dogmen und die Rolle politischer Narrative – eine differenzierte Einordnung.

„Schon ein Glas ist zu viel“ – mit dieser plakativ warnenden Botschaft sorgten jüngst zahlreiche Schlagzeilen, Social-Media-Posts und sogar einige gesundheitspolitische Initiativen für Aufsehen. Insbesondere Weintrinkerinnen und Weintrinker sind verunsichert: Ist das tägliche Glas zum Essen nun gesund, neutral – oder ein direkter Weg zur Krankheit? Während manche Stimmen in der Öffentlichkeit pauschal Alkohol als Gift verurteilen, melden sich immer mehr Wissenschaftler und Mediziner zu Wort, die diese Einordnung für zu undifferenziert, teils sogar wissenschaftlich unhaltbar halten. Zeit für eine sachliche Bestandsaufnahme.

Der Status quo: Was sagen aktuelle Studien zur Wirkung von Alkohol auf die Gesundheit?

Der jüngste Impuls für die Debatte kam 2023/2024 durch Berichte der WHO, der OECD und einiger nationaler Gesundheitsbehörden, die betonen: Es gebe keinen sicheren Schwellenwert für Alkohol. Schon der erste Tropfen sei schädlich – so die zentrale Botschaft. Doch was steckt dahinter?

Viele dieser Aussagen stützen sich auf epidemiologische Großstudien wie die Global Burden of Disease Study, die Zusammenhänge zwischen Alkoholkonsum und erhöhtem Krankheitsrisiko (z.B. Krebs, Lebererkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) herstellen. Diese Studien sind wichtig, haben jedoch methodische Grenzen:

  • Sie erfassen Korrelationen, aber keine Kausalitäten.
  • Die Definition von „moderatem“ Konsum variiert stark.
  • Es wird häufig nicht zwischen Alkoholarten (z. B. Wein vs. Spirituosen) differenziert.
  • Faktoren zum Lebensstil wie Ernährung, Bewegung oder sozioökonomischer Status werden oft unzureichend kontrolliert.

Zugegeben, übermäßiger und regelmäßiger Alkoholkonsum ist zweifellos gesundheitsschädlich. Doch bei moderatem Konsum, insbesondere im Rahmen mediterraner Lebensweisen (Stichwort: Mittelmeerdiät), zeigen sich in vielen Studien sogar positive Effekte – etwa auf das Herz-Kreislauf-System.

Der Wein im Fokus: Genussmittel mit kulturellem, medizinischem und biologischem Kontext

Wein nimmt unter den alkoholischen Getränken eine Sonderrolle ein – nicht nur kulturell, sondern auch biochemisch. Polyphenole wie Resveratrol, Quercetin oder Tannine haben in Labor- und Tierversuchen antioxidative, entzündungshemmende und gefäßschützende Wirkungen gezeigt.

Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass moderater Weinkonsum – etwa ein Glas pro Tag zu einer Mahlzeit – mit einer erhöhten Lebenserwartung und geringerer kardiovaskulärer Sterblichkeit assoziiert sein kann. Das prominenteste Beispiel: Die French Paradox-Hypothese – Franzosen, die trotz fettreicher Ernährung eine niedrige Herzinfarkt-Rate aufweisen, was u.a. dem Weinkonsum zugeschrieben wurde.

Neuere Studien relativieren diese Hypothese – nicht aber unbedingt die Ergebnisse. Vielmehr fordern sie, positive Effekte differenzierter zu betrachten: Nicht „der Alkohol“ wirkt gesund, sondern ein Zusammenspiel aus Polyphenolen, Esskultur, Lebensstil und Konsummuster.

Zwischen Wissenschaft und politischer Agenda: Ist die Debatte ideologisch aufgeladen?

Immer mehr Fachleute, etwa der deutsche Kardiologe *Prof. Dr. Thomas Meinertz oder der Epidemiologe *Dr. Günter Kampf, warnen davor, Alkoholpolitik mit Gesundheitskommunikation zu vermischen. Die WHO etwa verfolgt eine „Zero-Alkohol“-Strategie, die sich stark an Präventionslogiken orientiert – nicht an differenzierter Individualmedizin.

Führende Weinforscher und Ernährungsmediziner kritisieren diese Einseitigkeit. So betont z. B. *Prof. Dr. Nicolai Worm, dass moderate Mengen Wein – in einen gesunden Lebensstil eingebettet – nicht schädlich und potenziell sogar protektiv sein können. Ähnliche Stimmen finden sich auch im British Medical Journal und der European Society of Cardiology, die explizit zwischen risikoreichem und kultiviertem Konsum unterscheiden.

Was bedeutet das für die Praxis – und für die Weinwelt?

Für Weintrinker, Sommeliers und Winzer bedeutet das: Alarmismus hilft nicht – Aufklärung schon. Eine verantwortungsbewusste, maßvolle Trinkkultur sollte gefördert werden. Gleichzeitig braucht es mehr Forschung mit realitätsnahen Designs, die Genussmittel wie Wein in ihren kulturellen und biochemischen Kontext einordnen.

Die Botschaft ist klar: Wer Wein bewusst, maßvoll und eingebettet in einen gesunden Lebensstil genießt, lebt nicht gefährlich – sondern oft sogar bereichert.

Lesen Sie weiter meine Kommentare mit den Titeln:
• „Wein, Wahrheit und Weltanschauung
Null Promille, volles Leben?

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* Quellenangaben zur Trilogie „Wein und Gesundheit“

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Fotocredit: © Adobe Stock/StokHunt

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Seit 2000 bin ich mit dem Weinthema und der Weinszene verbunden. Ich agiere als Verleger, publiziere redaktionelle Beiträge und produziere Print- und digitale Weinmedien.