Wo Okzident und Orient einander genussreich begegnen

Wo Okzident und Orient einander genussreich begegnen

Eine Reise an einen besonderen Ort, an dem Riesling auf türkische Küche trifft und Tradition auf Innovation

Eine der faszinierendsten deutschen Kulturlandschaften ist der Rheingau. Auf der hessischen Seite mit Südexposition und fast mediterranem Klima finden sich auf einer Länge von etwa 40 Kilometern in einer zauberhaften Landschaft historische Gemäuer mit spannender Vergangenheit. Schon früh wurde erkannt, dass sich hier beste Bedingungen für den Qualitätsweinbau bieten und so kommt aus 3000 Hektar Weinbergen seit Langem weltberühmter Wein in die Gläser der Liebhaber, hauptsächlich aus der Edelrebsorte Riesling. 

Folgt man dem Rhein weiter nach Westen durch das touristisch quirlige Rüdesheim, macht der Flusslauf einen rechtwinkligen Knick nach Norden ins burgengesäumte Mittelrheintal. Am renommierten Rotweinort Assmannshausen vorbei gelangt der Reisende bald nach Lorch mit seinem bemerkenswerten, auf spätromanischen Fundamenten erbauten Gotteshaus. Dieses romantisch-verträumte, doch gar nicht schlafmützige Städtchen markiert das westliche Ende des Anbaugebiets. 

In einem idyllischen Winkel der Altstadt befindet sich das Weingut Mohr, in dem seit 1875 Weinbau betrieben wird, heute von der vierten Generation. Das Weingut, dessen Nameauf eine Herkunft aus der maurischen Kultur in Spanien – die  einst viel Gutes für Kunst und Wissenschaft geleistet hat – hinweist, wird von Jochen Neher und seiner türkischstämmigen Ehefrau Saynur Sonkaya-Neher geleitet. Sie werden neben einem verlässlichen kleinen Mitarbeiterteam vom schon ein wenig gereiften „Winzerlehrling“  Wolf Dio unterstützt, der auch selbst gute Weine keltert. Hier wird nach ökologischen Prinzipien gearbeitet und man ist schon lange Mitglied im wichtigen Verband ECOVIN. Die Fachzeitschrift Selection kürte den Betrieb 2020 und 2024 sogar zum besten Bio-Weingut Deutschlands. 

Von fast zehn Hektar – zumeist arbeitsintensive Steillagen – wird eine interessante Palette von Weinen erzeugt, die für jeden Genießergaumen etwas zu bieten hat. Auf unterschiedlichsten  Schieferformationen gibt es selbstverständlich vorwiegend hochwertigen Riesling, doch auch Spätburgunder und Weißburgunder machen viel Freude mit ihrer puristischen Klarheit, ohne die Finesse zu vernachlässigen. Dies trifft bei den einfacheren Qualitäten ebenso wie bei den Spitzen der Kollektion zu. Bemerkenswert ist neben den Großen Gewächsen ein 2019er Rieslingsekt brut nature aus der Lage Lorcher Krone, der vier Jahre auf der Vollhefe lagerte und mit vielschichtiger Struktur, Schmelz und Tiefe besticht. Viel Wissen und Erfahrung sowie naturnahe Sensibilität sind bei Jochen Neher maßgeblich und bei geführten Wanderungen durch die Lorcher Steillagen können sich wissenshungrige Weinliebhaber näher in das Zusammenspiel von Böden, Klima und Weinbergsarbeit vertiefen. 

Jochen Neher und seine 90-jährigen Rieslingstöcke

Ein echtes Highlight des Betriebs sind die ältesten Rieslingreben des gesamten Rheingaus, die – gepflanzt im Jahr 1934 –, noch immer dichte, tiefgründige Weine erbringen. Im Jubiläumsjahr 2024 also Anlass genug, bei einer Vertikalprobe gereifte Rieslinge von wahrhaftig „alten Reben“ vom Jahrgang 2023 zurück bis 2013 auf den Tisch zu stellen. So ließen sich auf gleichbleibend hohem Niveau präzise die Jahrgangseigenschaften vergleichend erschmecken. Unspektakuläre, ruhige Intensität, gelbfruchtige Würze,  Pfirsich- und Apfelnoten, begleitet von komplexer Struktur mit langem Nachhall sind kennzeichnend für diese Weine. „Die Geschichte unserer Böden in Weine zu übersetzen, die Tradition, Zukunft und die Achtung vor der Natur zugleich widerspiegeln“, ist das Credo des besonnenen und fokussierten Winzers Jochen Neher.  

Saynur Sonkaya-Neher und ihre Kochkunst

Die Ausstattung der Flaschen und viele dekorative Details im Weingut, das auch über einen ehrwürdigen Holzfasskeller verfügt, verweisen auf das zweite Standbein des Hauses: die Verbindung von orientalischer, speziell türkischer Kochkunst und ihrer Eignung zu den Weinen. Die aus Trabzon stammende Saynur Sonkaya-Neher, die Jochen Neher einst bei einer Weinprobe kennenlernte, vermag nicht nur mit ihrer herzlichen Art Sympathien zu wecken, ihre Kochkünste lassen alle Leckermäuler in Lobeshymnen schwelgen. Authentische türkische Gerichte wie raffinierte, mit Wirsing umwickelte Köfte (Hackfleischbällchen), geschmortes Lammfleisch, feine Blätterteigröllchen oder saftige Baklava zum Nachtisch sind einfach klasse und transportieren viele schöne orientalische Assoziationen. Die dicht gewebten Rieslinge sowie auch der Spätburgunder Rosé unterstützen diese exotische Aromenfülle optimal. Gern gibt Saynur Sonkaya-Neher – nach ihr ist übrigens auch die frisch-fröhliche Weißwein-Cuvée Saynur benannt – ihr Wissen in Kochkursen weiter, die eigentlich kein Geheimtipp mehr sind.  

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Fotocredit: © Weingut Mohr – Saynur Sonkaya-Neher und Jochen Neher sind ein originelles, kompetentes und positives Team, das auf hohem Level viel Qualität und Lebensfreude bietet.

Veröffentlicht von

VINWORLD: Autor Peter W. Schneider
Seit 40 Jahren beschäftige ich mich professionell und erfolgreich mit dem Thema Wein, sei es als Fachberater, Weinprüfer, Seminarleiter oder Autor von fachbezogenen Texten.