Von der Stille der Gitterstäbe zur Stille des Weinbergs – in Alcoentre, einem portugiesischen Gefängnis, wächst ein Wein, der mehr ist als nur Rebe und Erde. Er ist Hoffnung in der Flasche, fermentierte Reue, ein Tropfen Menschlichkeit im System der Strafe.
Alcoentre
Ein Ort, der auf keiner Weinroute steht. Und doch wird hier Wein gemacht – ehrlicher, rauer, aufgeladen mit Geschichten. Hinter den Mauern des Estabelecimento Prisional de Alcoentre, einer Haftanstalt etwa 70 Kilometer nordöstlich von Lissabon, entsteht ein Rotwein mit dem poetischen Namen „Chão de Urze“ – „Heideland-Boden.“ Und wie das Heidekraut zwischen Stein und Wind, so bahnt sich hier etwas seinen Weg durch das Raue: ein neues Leben, ein neuer Anfang.
Das Gefängnis wurde in den 1940er Jahren erbaut, umgeben von einer weitläufigen, 300 Hektar großen Agrarlandschaft. Wo einst Zuchthausroutine herrschte, greifen heute Häftlinge nach Gartenscheren, heben Spaten in die Erde und streifen durch Rebenzeilen, während über ihnen die Sonne des Ribatejo brennt.
Der Wein ist Teil eines landwirtschaftlichen Ausbildungsprogramms. Wer an diesem Projekt teilnimmt, beginnt morgens nicht im Zellenblock, sondern im Weinberg. „Sie lernen, was es bedeutet, etwas aufzubauen, Verantwortung zu übernehmen – im ganz wörtlichen Sinn die Frucht ihrer Arbeit zu ernten“, sagt der agrarische Projektleiter, der insbesondere die Resozialisierung seiner Schützlinge im Blick hat.
Ein Wein mit menschlicher Note
Chão de Urze ist kein Marketingprodukt. Es ist ein Statement. Die Trauben werden von Hand gelesen, mit Bedacht vinifiziert – nicht in ultramodernen Kellereien, sondern in einfachen Anlagen, unter der Aufsicht von Önologen, die Geduld mitbringen. Und Respekt.
Der Wein selbst? Ein Rotwein, von dunkler rubinroter Farbe, mit Aromen von schwarzen Johannisbeeren, Lorbeer und getrockneten Kräutern. Kein Paukenschlag im Glas, sondern ein stiller Begleiter. In ihm steckt das, was man nicht messen kann: Reue, Ehrgeiz, Ehrlichkeit.
Die Produktion ist limitiert, der Vertrieb selektiv. Verkauft wird er nur bei bestimmten Gelegenheiten – lokale Märkte, soziale Events, seltene Präsentationen. Es geht hier nicht um Profit. Es geht um Würde.
Zwischen Schuld, Hoffnung und Zukunft
Es kommt schon vor, dass sich Häftlinge gegen das Projekt sperren. „So wie Miguel“, erzählt der Projektleiter. Sein Statement ist überliefert und steht für ähnliche Vorbehalte: „Ich war wütend auf alles. Auch auf den Boden. Dann habe ich begonnen, mit meinen Händen zu arbeiten – und das hat etwas verändert.“
Das Gefängnis von Alcoentre ist kein Ort für romantische Illusionen. Es bleibt ein Ort des Entzugs, der Härte. Und doch gelingt es diesem Wein, eine Brücke zu schlagen. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischen Schuld und Wachstum. Zwischen Mensch und Mensch
In einer Zeit, in der Wein immer öfter zum Spekulationsobjekt wird, ist Chão de Urze eine Erinnerung: Wein kann etwas bewegen. Nicht nur in Gläsern, sondern im Leben.
Und vielleicht ist genau das seine größte Kraft: Dass ein einziger Schluck reicht, um daran zu glauben, dass selbst hinter den höchsten Mauern noch ein Stück Freiheit wächst.
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Fotocredit: Generiert mit KI