Metaphorik und Wahrnehmung in der Weinkritik
„Dieser sexy, üppige, komplexe und parfümierte Pomerol ist fleischig, seidig und üppig in seinem eleganten, femininen Stil.“ (Robert Parker)
Wer so formuliert, der hat das pure weibliche Geschlecht vor Augen.
Theorie, dass Wein weiblich sein kann, ist eine faszinierende Perspektive und auch tief in der Weinkritik und Weinbeschreibung verwurzelt. Tatsächlich ist die Verwendung geschlechtsspezifischer Metaphern in der Weinwelt weit verbreitet und kann eine tiefere Verbindung und ein besseres Verständnis der komplexen Eigenschaften eines Weins ermöglichen.
Robert Parkers Beschreibung ist ein Paradebeispiel für die Personifizierung eines Weins durch geschlechtsspezifische Attribute. Dies geht über eine Beschreibung des Geschmacks hinaus und vermittelt ein lebendiges Bild des sinnlichen Erlebnisses, das der Wein bietet.
Ein prüfender Blick in meine über Jahre gesammelten Weinnotizen von verschiedenen Medien, Autoren, Weinliebhabern und ergänzend auch eigenen Aufzeichnungen lässt ein stilistisches Merkmal erkennen: Es belegt, dass es ein Remis zwischen femininen und maskulinen Adjektiven gibt. Hier nun meine persönliche Interpretation der Metaphorik dieser Weinbeschreibungen als Beweis für die feminine Charakteristik der Weine.
Sensorische Attribute und Geschlechtermetaphorik
Aromen und Texturen: Feminine Weine werden oft mit Attributen wie „elegant“, „blumig“, „seidig“ und „delikat“ beschrieben. Diese Begriffe assoziieren eine bestimmte Art von Raffinesse und Anmut, die kulturell oft als weiblich wahrgenommen wird.
Körper und Struktur: Weine, die als feminin beschrieben werden, weisen in der Regel eine geschmeidige, samtige Textur und eine subtile Tanninstruktur auf. Sie sind weniger kräftig und mehr auf Finesse und Ausgewogenheit ausgerichtet.
Beispiele für feminin beschriebene Weine
Burgunderweine (insbesondere Pinot Noir): Diese Weine werden oft als „filigran“, „elegant“ und „raffiniert“ beschrieben. Ihre Fähigkeit, komplexe Aromen von roten Früchten, Blüten und feinen Gewürzen zu präsentieren, ohne deren Struktur zu übertönen, wird oft als feminin interpretiert.
Champagner: Besonders ein Blanc de Blancs ausschließlich aus Chardonnay-Trauben wird oft als „zart“, „feminin“ und „anmutig“ beschrieben. Die feine Perlage und die frischen, blumigen Aromen unterstreichen diese Wahrnehmung.
Weinbeschreibungen und kulturelle Wahrnehmungen
Subjektivität der Weinsprache: Die Verwendung geschlechtsspezifischer Metaphern bei der Beschreibung von Wein ist tief in traditionellen Wahrnehmungen verwurzelt. Die Art und Weise, wie Menschen Aromen, Texturen und Strukturen erleben, wird stark von kulturellen Normen und persönlichen Erfahrungen beeinflusst.
Ausgewogenheit der Beschreibungen: Historisch gesehen gibt es eine ausgeglichene Verwendung von männlichen und weiblichen Deskriptoren. Während kräftige, tanninreiche Weine oft mit maskulinen Schlagwörtern in Verbindung gebracht werden („robust“, „kraftvoll“, „strukturiert“), gibt es eine ebenso häufige Verwendung femininer Beschreibungen für Weine, die subtile, elegante und komplexe Eigenschaften aufweisen.
Subjektive Wahrnehmung und Konsistenz
Individuelle Wahrnehmung: Die Beschreibung eines Weines als feminin ist oft subjektiv und beruht auf der individuellen Wahrnehmung und Erfahrung des Weintrinkers. Unterschiede in der Geschmackswahrnehmung, sensorische Sensibilität und persönliche Vorlieben spielen dabei eine wichtige Rolle.
Kein eindeutiger Trend: Es gibt hitorisch betrachtet keine Tendenz hin zu mehr männlichen oder weiblichen Bezeichnungen. Dies deutet darauf hin, dass die Charakterisierung von Weinen in Geschlechterkategorien hauptsächlich eine Frage der subjektiven Interpretation bleibt.
Zusammenfassung
Obwohl es keine objektiven wissenschaftlichen Beweise dafür gibt, dass Wein von Natur aus weiblich ist, bietet die reiche und metaphorische Sprache der Weinkritik zahlreiche Belege für die Wahrnehmung und Beschreibung von Weinen in geschlechtsspezifischen Kategorien. Diese Beschreibungen helfen Weinliebhabern, die Nuancen und die Komplexität eines Weines besser zu verstehen und zu schätzen. Die Ausgewogenheit zwischen männlichen und weiblichen Deskriptoren spiegelt die Vielfalt der Eigenschaften von Weinen wider und unterstreicht die subjektive Natur der Weinsprache
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