Rebellion gegen Minderwertigkeit!
Louis liegt auf einem Beistelltisch, das schimmernde Licht des ersten Restaurants der Stadt reflektiert seine glänzende Oberfläche. Er fühlt sich wie der stolzeste Korkenzieher der Welt, stets bereit für große Momente. Das Ehepaar, das in seiner Nähe am schönsten Tisch des renommierten Drei-Sterne-Lokals sitzt, rührt ihn zutiefst. Ihre leisen Stimmen erzählen von einem Leben voller Liebe, Abenteuer und gemeinsamem Lachen. Das Paar feiert 45 Jahre Ehe. „Eine Ewigkeit“, dachte Louis. Heute würde er ein Teil davon werden, indem er die Flasche Wein öffnen darf, die ihre Liebe begleitet.
Der Moment fühlt sich für Louis perfekt an, bis er ihn sieht: den einfachen Flaschenöffner, den der Sommelier Pierre neben der noch in durchsichtiger Folie verpackten Flasche bei seiner Rückkehr aus dem Weinkontor des Restaurants in der Hand hält. Louis‘ Spirale zieht sich zusammen. „Was macht Pierre da?!“ denkt er entsetzt. „Das ist ein 1978er La Tâche! Ein Wein, der die Welt verändert hat! Und er will ihn mit – mit dem öffnen?!“
Während Pierre höflich lächelnd die Flasche von der Schutzhülle befreit und präsentiert, der Herr zustimmend nickt und der Sommelier beginnen will, den Flaschenöffner anzusetzen, vibriert Louis. Er will schreien, sich vom Tisch werfen, irgendetwas tun, um das Unheil zu verhindern. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes.
„Einen Moment, bitte“, sagt die Dame mit sanfter, aber entschiedener Stimme. Sie beugt sich vor und nimmt beherzt den einfachen Flaschenöffner aus Pierres Hand. „Ist das Ihr Ernst, junger Mann? So einen besonderen Wein mit diesem Werkzeug zu öffnen?“ Ihr Ehemann nickt zustimmend. „Wissen Sie, schon bei unserer Hochzeit wurde hier mit besonderer Sorgfalt gearbeitet. Jeder Wein wurde mit Liebe behandelt. Und ich kann mich sogar erinnern, dass es einen ganz besonderen Korkenzieher gab. Der damalige Sommelier nannte ihn ‚Louis‘.“
Louis‘ Herz – na ja, die Spirale – macht einen kleinen Hüpfer. „Sie erinnern sich! Sie wissen, dass ich der Einzige bin, der dieser Aufgabe gewachsen ist“, seufzt er leise vor Erregung. Pierre runzelt die Stirn. „Madame, Monsieur, dieser Korkenzieher ist etwas – wie soll ich sagen – altmodisch. Er liegt dort drüben. Aber ich denke, dieser hier wäre praktischer.“
„Praktisch?!“ Die Dame zeigt sich empört. „Mein Mann und ich haben gelernt, dass die besten Dinge im Leben niemals praktisch sind. Sie sind elegant. Sie haben Stil. Sie wecken Emotionen. Und sie erzählen Geschichten. Holen Sie ihn, bitte.“
Pierre zögert, doch der Blick des Herrn lässt keine Diskussion zu. „Sofort“, sagt er halb entschuldigend, halb kleinlaut und eilt zum Beistelltisch. Er nimmt Louis in die Hand, hält ihn hoch und mustert ihn mit einem kritischen Blick. Louis fühlt sich plötzlich wie ein Juwel, das im besten Licht erstrahlt „Nun gut“, murmelt Pierre. „Aber wehe, du versagst.“ „Ich? Versagen?“ denkt Louis. „Monsieur Sommelier, Sie haben es hier mit einem Meisterwerk zu tun.“
Der Moment, auf den Louis gewartet hatte, war endlich da. Pierre präsentiert ihn dem Ehepaar, das ihn wie einen alten Freund begrüßt. „Ah, da ist er“, sagt der Mann mit einem Lächeln. „Ich habe gehofft, nein gewusst, dass er noch da ist.“ „Ja, wie schön, es ist wirklich ‚Louis‘“, sagt seine Frau freudig.
Pierre setzt Louis vorsichtig an die Flasche des 1978er La Tâche der Domaine de la Romanée Conti. Louis spürt den Widerstand des perfekt gereiften Korkens, das leichte Knarzen, das wie Musik in seinen geschwungenen Griffen klingt. Auch Pierre bemerkt dies erleichtert, dreht langsam und mit äußerster Präzision, dann zieht er mit einer geschmeidigen Bewegung den Korken heraus. Ein zartes, elegantes „Plopp“ erfüllt die Luft, und Louis wird bewusst, dass er es wieder getan hat: Er hat erneut Magie geschaffen.
Der Duft des Weins entströmt den Gläsern, und die Augen des Paares leuchten. „Perfekt“, flüstert die Frau und der Herr stimmt zu: „Absolut perfekt.“ Louis bleibt auf dem Tisch liegen und genießt die Szene weiter. Pierre wagt es nicht, ihn wieder auf den Beistelltisch zurückzubringen. Das Paar hebt die Gläser. „Auf uns. Und auf die kleinen Dinge, die das Leben besonders machen“, toastet der Mann. „Wie Louis“, fügt die Frau hinzu und lächelt.
In diesem Moment, mit dieser Aussage und mit dieser Ehre fühlt sich Louis, als würde er glühen. Er hat nicht nur erneut eine Flasche edelsten Weins geöffnet, sondern ein Stück Geschichte bewahrt. Und während die Gäste ihre Gläser klingen lassen, sich verliebt wie einst anlächeln, weiß er, dass er schon 45 Jahre und wahrscheinlich für immer ein Stückchen dieser Liebe ist – ein bescheidener Korkenzieher, der für einen weiteren Moment für Liebende zum Helden wurde.
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